In Würde altern – inklusiv und selbstbestimmt
Im Zuge des demografischen Wandels wird sich die Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiterhin stark verändern. Bereits im Jahr 2010 betrug der Anteil der Personen, die 60 Jahre und älter waren, 26,3 % der deutschen Gesamtbevölkerung (81,8 Mio.) Für das Jahr 2060 wird ein Anstieg auf 39,2 % prognostiziert (Bundeszentrale für politische Bildung, 2012).
Auch die Gruppe älterer Menschen mit Behinderung (60+) tritt erstmals als größere Kohorte in Erscheinung und für die kommenden Jahre ist von weiterem Zuwachs auszugehen. Und das sind vorerst einmal gute Neuigkeiten.
Angesichts dieser Entwicklungen entstehen für die Einrichtungen der Behinderten- und Altenhilfe jedoch auch neue Herausforderungen und Aufgaben. Immer mehr Menschen mit Behinderung erreichen das Rentenalter und mit steigender Anzahl an Ruheständler*innen wächst der Bedarf an Angeboten zur Strukturierung und Gestaltung dieses Lebensabschnitts.
Herausforderung: Alter & Behinderung
Das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist in unserer Gesellschaft ein einschneidendes Ereignis und birgt für die Betroffenen im Alter vielfältige Veränderungen. Arbeit gibt uns ein starkes Wertgefühl und eine Bedeutung im Leben, die mit Eintritt in den Ruhestand entfallen: Die bekannte Tagesstruktur fällt im Alter plötzlich weg und mit ihr auch die soziale Rolle als Berufstätige*r: soziale Anerkennung und das Gefühl, eine Aufgabe zu haben, einen Sinn und Zweck zu erfüllen. Dieser Wandel ist zwar für alle gleich, aber insbesondere ältere Menschen mit Behinderung empfinden den Übergang ins Rentenalter und die damit einhergehenden Veränderungen als besonders schwierig. An ihrem Arbeitsplatz wird nicht nur gearbeitet, vielmehr dient er im Leben von Menschen mit Behinderung oftmals als zentraler sozialer Dreh- und Angelpunkt. Ein Ort, an dem sie auch ein Stück weit zu Hause sind, sich gebraucht fühlen und produktiv sind.
Um dennoch das Rentenalter als eine Zeit des selbstständigen (Er-)Lebens, der Würde, der sozialen Interaktion und des Gewinns zu gestalten, ist es wichtig, für Senior*innen mit Behinderung ein Angebot mit verschiedenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu schaffen. Darüber hinaus müssen auch die Wohnangebote und das fachliche Personal speziell auf die Erfahrungen und Bedürfnisse der ‚neuen‘ Alten ausgerichtet und vorbereitet werden.
Um das gewährleisten zu können, müssen folgende Fragen beantwortet werden: Wie verändern sich die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung durch das Älterwerden? Welche Auswirkungen hat das auf Assistenzberufe und Unterstützungskonzepte? Und welche Rahmenbedingungen braucht es dafür?
Die Gesundheits- und Sozialbranche muss adäquat reagieren
Während es immer mehr ältere Menschen mit Assistenzbedarf gibt, sinkt gleichzeitig die Zahl der Pflegekräfte. Die Unterstützungsleistungen von Kranken- und Pflegekassen, der Altenhilfe und regionaler/kommunaler Angebote im Quartier greifen oft nicht ausreichend ineinander.
Notwendig ist ein aufeinander abgestimmtes und den individuellen Bedarfen entsprechendes Betreuungsangebot, das die schematischen Grenzen zwischen Eingliederungshilfe und Pflege für die betroffenen Menschen mit Behinderungen überwindet. In vielerlei Hinsicht steht die Eingliederungshilfe jedoch noch am Anfang, wenn es um den Umgang mit dem Altern der eigenen Klient*innen geht. Dabei gibt es keine Altersgrenze für die Inanspruchnahme von Eingliederungshilfe. „Ambulante Pflegedienste müssen sich auf die Unterstützungsbedarfe von älteren Menschen mit Behinderung einstellen. Sie müssen in der Lage sein, teilhabeorientiert mit den pädagogischen Diensten zu kooperieren. Die Hilfeplanung muss gemeinsam abgestimmt werden, die Informationsweitergabe unter den Unterstützer*innen verlässlich sein, die Erbringung der Leistung zu den geplanten Zeiten und von konstanten Pflegepersonen erfolgen. Die Möglichkeiten, beide Dienste personell zu verzahnen, ist zu erleichtern.“ (Auszug aus dem Positionspapier_Mittendrin auch im Alter_Lebenshilfe)
In der Konsequenz bedeutet das, dass sowohl Eingliederungshilfe als auch Pflege künftig noch stärker Hand in Hand arbeiten müssen, um den Herausforderungen von alten Menschen (ob mit oder ohne Unterstützungsbedarf) angemessen zu begegnen. Ziel muss es sein, Menschen die Möglichkeit zu geben, diesen Lebensabschnitt selbst mitzugestalten und nach eigenen Werten und Vorstellungen freudvoll erleben zu können.
Hier setzt die Systematik von QplusAlter an. Eine Initiative, die es sich zum Ziel gemacht hat, ältere und pflegebedürftige Menschen im Quartier darin zu unterstützen, selbstbestimmt und selbständig im Stadtteil zu leben. Die flexiblen Unterstützungsarrangements werden im Zusammenwirken mit den älteren Menschen, pflegenden Angehörigen, zivilgesellschaftlichen und weiteren professionellen Akteur*innen entwickelt und realisiert.
Unterstützung von alten Menschen mit und ohne Behinderung
Nicht nur für Menschen mit Behinderung ist das Älterwerden und der Eintritt in die Rente ein einschneidendes Ereignis. Selbst in einem so reichen Land wie Deutschland ist es nicht selbstverständlich, dass Senior*innen einen sorgenlosen Lebensabend in Würde verbringen können. Immer mehr Menschen leben im Alter allein – und immer mehr alte Menschen sind von Armut bedroht. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wird im Jahr 2036 jede*r fünfte Neurentner*in von Altersarmut bedroht sein, bei alleinstehenden Frauen liegt der prognostizierte Wert sogar bei gut 50 %.
Einerseits fehlt es vielen Menschen – vor allem alleinstehenden Frauen – im Alter also an finanziellen Mitteln, sodass der Einzug in ein gut ausgestattetes Seniorenheim oder eine ähnliche Einrichtung nicht in Frage kommt. Andererseits haben sich in den letzten Jahrzehnten aber auch die familiären Strukturen derart verändert, dass viele Senior*innen ihren Wunsch nach einem Älterwerden im Kreis der Familie nicht verwirklichen können.
Gerade deshalb werden staatlich geförderte Initiativen, private Netzwerke und professionelle Unterstützungsangebote im sozialen Lebensumfeld von alten Menschen mit oder ohne Behinderungen immer wichtiger. Es kann und muss eine Gesellschaft entstehen, in der neben den staatlichen und privat geführten Einrichtungen alle nach ihren Fähigkeiten einen sinnvollen Beitrag zum Gemeinwohl beisteuern.
Denn nur mit Inklusion und Zusammenhalt kann es gelingen, dass alte Menschen mit und ohne Behinderung ein gutes Leben führen und ihren Ruhestand genießen können.